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Grundsatzentscheidung des BGH zur Anwendung der Sozialklausel: Hohes Alter, lange Wohnzeit und altersbedingte Krankheit als Härtegrund

1.
Da sich ein hohes Alter eines Mieters und/oder eine lange Mietdauer mit einer damit einhergehenden langjährigen Verwurzelung im bisherigen Umfeld je nach Persönlichkeit und körperlicher sowie psychischer Verfassung des Mieters unterschiedlich stark auswirken können, rechtfertigen diese Umstände ohne weitere Feststellungen zu den sich hieraus ergebenden Folgen im Falle eines erzwungenen Wohnungswechsels grundsätzlich noch keine Härte i.S.d. § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB.*)

2.
Kommen zu diesen Umständen Erkrankungen hinzu (hier Demenz gemischter Genese), aufgrund derer beim Mieter im Falle seines Herauslösens aus seiner näheren Umgebung eine - nach ihrem Grad nicht näher festgestellte - Verschlechterung seines gesundheitlichen Zustands zu erwarten steht, kann dies in der Gesamtschau zu einer Härte führen. Wenn der gesundheitliche Zustand des Mieters einen Umzug nicht zulässt oder im Falle eines Wohnungswechsels zumindest die ernsthafte Gefahr einer erheblichen Verschlechterung der gesundheitlichen Situation des (schwer) erkrankten Mieters besteht, kann sogar allein dies einen Härtegrund darstellen.*)

BGH, Urteil vom 22.05.2019 - VIII ZR 180/18
BGB § 574

Problem/Sachverhalt

Die Entscheidung betrifft ein Mietverhältnis das seit dem Jahr 1937 besteht. Die an Demenz erkrankte Mieterin ist mittlerweile 79 Jahre alt. Die Wohnung wurde im August 2015 veräußert. Der Erwerber kündigt wegen Eigenbedarfs. Die Mieterin widerspricht der Kündigung.

Entscheidung

Mit Erfolg! Nach § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Mieter der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Vorliegend kamen als Härtegründe das hohe Lebensalter der Mieterin, die lange Wohndauer sowie eine altersbedingte Erkrankung in Betracht. Der BGH führt zu diesen Härtegründen aus, dass weder das hohe Alter des Mieters noch eine lange Wohnzeit für sich allein eine "Härte" i.S.d. § 574 BGB begründet. Vielmehr muss das Gericht weitere Feststellungen zu den sich hieraus ergebenden Folgen im Falle eines erzwungenen Wohnungswechsels treffen. Eine Erkrankung des Mieters kann jedoch in Verbindung mit dessen hohem Lebensalter und langer Wohnzeit in der Gesamtschau zu einer Härte führen, "wenn der gesundheitliche Zustand des Mieters einen Umzug nicht zulässt oder im Falle eines Wohnungswechsels zumindest die ernsthafte Gefahr einer erheblichen Verschlechterung der gesundheitlichen Situation des (schwer) erkrankten Mieters besteht." Unter Umständen kann eine schwere Erkrankung auch allein als Härtegrund gelten. Beruft sich der Mieter - wie vorliegend - auf eine schwere Erkrankung als Härtegrund, hat sich das Gericht "regelmäßig mittels sachverständiger Hilfe ein genaues ... Bild davon zu verschaffen, welche gesundheitlichen Folgen im Einzelnen mit einem Umzug verbunden sind." Im konkreten Fall führt der BGH aus, das Landgericht habe versäumt, tragfähige Feststellungen zum Umfang und den Auswirkungen der Erkrankungen der Mieterin zu treffen. Deshalb hat der BGH das Verfahren zur erneuten Entscheidung über den Kündigungswiderspruch an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Praxishinweis

Für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen des § 574 BGB ist der Mieter darlegungspflichtig. Insoweit genügt es, wenn der Mieter ein aussagekräftiges ärztliches Attest vorlegt. Dieses sollte von einem Facharzt stammen.

RiLG a. D. Hubert Blank, Mannheim
IMR 2019, 310

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